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Benachteiligung schwerbehinderter Menschen im Bewerbungsverfahren

Benachteiligung schwerbehinderter
Menschen im Bewerbungsverfahren

Entschädigungsanspruch gem. § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13.10.2011, 8 AZR 608/10
Beweislast des Arbeitgebers gem. § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Das Bundesarbeitsgericht hatte in seinem Urteil vom 13.10.2011, Az: 8 AZR 608/10, über den von einem abgelehnten schwerbehinderten Bewerber geltend gemachten Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG zu entscheiden.

§ 7 AGG bestimmt, dass Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden dürfen; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt. Zu den in § 1 AGG genannten Gründen gehört auch eine Behinderung.

Verstößt der Arbeitgeber gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG, ist er verpflichtet, den hierdurch entstehenden Schaden zu ersetzen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 AGG). Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (§ 15 Abs. 1 Satz 2 AGG). § 15 Abs. 1 AGG gewährt dem benachteiligten Beschäftigten einen Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens – das kann insbesondere ein entgangener Verdienst sein.

Unabhängig davon – also auch dann, wenn ein materieller Schaden nicht eingetreten ist – gibt § 15 Abs. 2 AGG dem benachteiligten Beschäftigten (hierunter fallen auch Bewerber) einen verschuldensunabhängigen Entschädigungs-Anspruch bei immateriellen Schäden. Ein immaterieller Schaden wird bei einer entsprechenden Rechtsverletzung vermutet. Dieser immaterielle Entschädigungsanspruch darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht überschreiten, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

Der Entscheidung des BAG lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der schwerbehinderte Kläger (GdB von 60) bewarb sich bei einer Gemeinde für eine zur Mutterschaftsvertretung ausgeschriebene Stelle im Bereich Personalwesen, Bauleitplanung, Liegenschaften und Ordnungsamt. Der Bewerber war für die Stelle zwar geeignet, nicht jedoch der am besten qualifizierte Bewerber. In seiner Bewerbung gab er einen Hinweis auf eine „Behinderung“ ohne jedoch ausdrücklich seine Schwerbehinderteneigenschaft zu erwähnen. Die Gemeinde prüfte nicht, ob die ausgeschriebene Stelle mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden könne und sie nahm auch keine Verbindung mit der Agentur für Arbeit auf. Im weiteren Verlauf wurden zwei der ca. zehn Bewerber dem Gemeinderat vorgestellt. Eingestellt wurde eine Bewerberin, die noch etwas besser geeignet erschien.

Das Bundesarbeitsgericht hat zusammengefasst wie folgt entschieden:

Eine unmittelbare Benachteiligung liegt gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als sie eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Zu den in § 1 AGG genannten Gründen gehört auch eine Behinderung.

Der klagende Bewerber erfuhr eine weniger günstige Behandlung als die eingestellte Bewerberin, da er nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen, nicht in die Auswahl einbezogen und schließlich auch nicht eingestellt wurde. Der Kläger sowie die eingestellte Bewerberin befanden sich auch in einer vergleichbaren Situation. Hierfür ist Voraussetzung, dass der betroffene Bewerber objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet war. Dies war in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt der Fall.

Ein Entschädigungsanspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG setzt voraus, dass die Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes – vorliegend der Behinderung – erfolgt ist. Dieser ursächliche Zusammenhang zwischen nachteiliger Behandlung und Behinderung ist nicht erst dann gegeben, wenn die Behinderung des Bewerbers das ausschließliche Motiv dafür ist, diesen nicht zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen oder ihn nicht einzustellen. Es reicht vielmehr aus, dass die Behinderung Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat.

§ 22 AGG enthält eine für den Arbeitgeber sehr schwer zu nehmende Hürde einer Beweislastregelung. Kann der abgelehnte Bewerber Indizien beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes – also z. B. wegen einer Behinderung - vermuten lassen, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Lassen also die von dem Bewerber vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen, dass die Benachteiligung wegen einer Behinderung erfolgt ist, muss der Arbeitgeber beweisen, dass die Behinderung des Bewerbers in dem Motivbündel, welches den Arbeitgeber beim Ausschluss des Bewerbers aus dem Auswahlverfahren beeinflusst hat, nicht enthalten war.

Das BAG sah die Darlegung eines Indizes i. S. d. § 22 AGG durch den klagenden abgelehnten Bewerber darin, dass der Arbeitgeber seine Prüf- und Meldepflichten gem. § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) verletzt hat. Gem. § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind die Arbeitgeber verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden können. Weiter ist gem. § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX jeder Arbeitgeber verpflichtet, frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufzunehmen. Die Verletzung dieser Pflichten durch die Beklagte ist nach der vorgenannten Entscheidung des BAG geeignet, die Vermutung eines Zusammenhangs zwischen Benachteiligung und Behinderung zu begründen. Hierbei spielt es nach dem BAG keine Rolle, dass der Kläger der Beklagten nur eine „Behinderung“ nicht jedoch seine Schwerbehinderung mitgeteilt hatte. Der der Beklagten zurechenbare Pflichtenverstoß begründet nach dem BAG eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die dem Kläger zuteil gewordene benachteiligende Behandlung auf dem Merkmal der Behinderung beruht. Die Beklagte erwecke mit ihrem Verhalten den Anschein, nicht nur an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein, sondern auch möglichen Vermittlungsvorschlägen und Bewerbungen von arbeitsuchenden schwerbehinderten Menschen aus dem Weg gehen zu wollen. Der Verstoß gegen die Prüf- und Meldepflichten gem. § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX deute nach der genannten Entscheidung des BAG darauf hin, dass das Merkmal der Behinderung Teil des Motivbündels der Beklagten bei der benachteiligenden Behandlung von Schwerbehinderten und damit auch des schwerbehinderten Klägers gewesen sei.

Für Arbeitgeber ergibt sich aus diesem Urteil des BAG die Schlussfolgerung, dass sie ihrer Prüf- und Meldepflicht gem. § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX unbedingt nachkommen müssen.

Im Übrigen sollten Arbeitgeber sich bei Bewerbern nicht nach einer Schwerbehinderteneigenschaft erkundigen. Wie das BAG in dem vorgenannten Urteil ausgeführt hat, kann der Arbeitgeber gerade durch solche Nachfragen Indiztatsachen schaffen, die ihn bei einer Entscheidung gegen den schwerbehinderten Bewerber in die Darlegungslast nach § 22 AGG bringen können.

Dr. Karl von Lutterotti
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht